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Donnerstag, 10.09.2015

Jetzt und für immer

Christoph Asteriades
Andreas Herrmann in Aktion

Draw that beat bei Ernst

Der erste richtige Sommertag, alle haben darauf gewartet. Ich betrete die gemütliche Kneipe „Nachtschwärmer bei Ernst“ in der Sprengelstraße, von der ich schon viel gehört habe. Es ist heiß, nur wenige Gäste sind da. „Hallo, ich bin Ernst und wer bist du?“ tönt es mir entgegen. Ich nenne meinen Namen und werde herzlich begrüßt. Schön! Ich fühle mich sofort in die Nachtschwärmer-Gemeinschaft aufgenommen. „Komm, ich stell dich mal den Künstlern vor.“ Ernst nimmt mich mit in den „Musikraum“, in dem sich ganz hinten in der Ecke eine kleine Bühne befindet. Auf einer Kistentrommel, einem Cajon, sitzt Christoph Asteriades, ein Berliner Musiker und Initiator der Veranstaltungsreihe Draw that beat, die heute zum dritten Mal stattfindet. Er trägt eine Trachtenlederhose, eine Lederweste auf freiem Oberkörper, einen Hut. Auf der Bühne befinden sich diverse elektro-akustische Instrumente wie Schlagwerk, Gitarre und Bass. Einige der Instrumente wurden modifiziert und umgebaut. „Das ist meine Spielwiese und jeder der Lust hat, kann mitspielen. Die letzten Male kamen einige Musiker vorbei und improvisierten auf verschiedenen Instrumenten zu meiner Musik. Auch das Publikum machte mit.“ erzählt Christoph begeistert. „Keiner weiß genau, was an einem solchen Abend passieren wird, es ist und bleibt spontan und spannend.“ Mindestens vier Stunden benötigt er, um eine Veranstaltung vorzubereiten. Neben der kleinen Bühne ist eine Staffelei mit einer Leinwand aufgebaut. Eigentlich ist es der „Arbeitsplatz“ des New Yorkers Nicolas Arjona. Er ist bildender Künstler und Modedesigner und lebt seit einigen Jahren in Berlin. Heute wird ihn der Weddinger Maler und Musiker Andreas Herrmann vertreten, da Arjona in Italien festsitzt.

 „Findet Bingo heute drüben statt?“ fragt eine Frau und zeigt auf den vorderen Raum. „Ja, wir haben hinten doch heute Musik,“ sagt Ernst. Donnerstag ist Bingotag.

Ernst erzählt von „Loops“ und vergangenen Veranstaltungen.

Loops? Ich denke an das mittlerweile geschlossene Stattbad, Minimal Music, Techno. Das englische Wort bedeutet auf Deutsch „Schlinge“,„Schleife“ und ist ein Fachbegriff für kurze Klang- und Bildsequenzen, die analog oder digital aufgezeichnet wurden und beliebig oft wiederholt werden können. Christoph hat viele seiner „Schleifen“, die er heute verwenden wird, bereits vor der Veranstaltung erzeugt. Einige entstehen erst im Laufe des Abends.

Andreas biegt um die Ecke. „Hallo, schön, dass du gekommen bist.“

Ich bin jetzt seit einer halben Stunde hier, außer mir sind bisher nur drei Leute gekommen. Wir warten. Vielleicht kommt ja noch jemand, verirrt sich vom nahegelegenen Ufer in die einladende Kneipe.

Endlich ist es soweit. Eine Stunde später als geplant beginnt die Performance.

Blues. Gitarre und Mundharmonika. Abwechselnd wird die Bühne in rotes und blaues Licht getaucht.

Andreas malt zur Musik. Kommaartig werden Pinselstriche nebeneinander gesetzt. Farbtupfer.

Farbmusik. Klangschleifen. Ich werde hineingezogen in eine Geschichte ohne Anfang und ohne Ende.

Nun kommen immer mehr Leute, der kleine Raum füllt sich. Ernst stellt mir Hubert und Cordula von Wedding Art vor. Ihr Projektraum befindet sich um die Ecke, in der Tegeler Straße. Sie sind wegen Andreas gekommen. Sie erzählen von ihrem Projekt, dem anfänglichen Enthusiasmus und den Schwierigkeiten der letzten Jahre. Geschichten…

Die Zeit scheint stillzustehen.

Im Gegensatz zur Musik versucht das Bild einen Augenblick einzufangen und festzuhalten, einen Ausschnitt aus Raum und Zeit zu erschaffen. Aber auch hier wird uns, dem Publikum, nichts vorgegeben. Wir müssen die Farbtupfer zusammensetzen, die Farben mit der Musik vermischen. Die impressionistische Malweise erinnert an Monet. Emotion und Bewegung.

Die Musik erzeugt das Gefühl einer unaufhörlichen Gegenwart.

Wie spät ist es eigentlich? Wie lange bin ich schon hier? Ich weiß es nicht.

Borges Vorstellung einer „kreisförmigen Zeit“ scheint Wirklichkeit zu werden. „Verweile doch, du bist so schön!“ Für den immer währenden, niemals endenden Augenblick ist Faust bereit, seine Seele zu verkaufen.

Auch dieser Augenblick soll nie vorübergehen, jetzt und für immer.

 

Nächster Termin:

Weihnachtsspecial am 25. Dezember bei Ernst in der Sprengelstraße 15, 13353 Berlin.

Beginn 20 Uhr, Eintritt frei

https://soundcloud.com/sandwichtunes

http://www.bei-ernst.de/

 

Dieses Projekt wird aus dem Aktionsfonds des Programms "Soziale Stadt" gefördert.​


Foto und Text: Annette Wolter

 
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